Fairness-Modelle für effiziente Abklärungsverfahren im Sozialversicherungsrecht
Auf einen Blick
- Projektleiter/in : Prof. Dr. René Wiederkehr
- Co-Projektleiter/in : Dr. Susanne Fischer
- Projektteam : Anna Böhme
- Projektvolumen : CHF 420'000
- Projektstatus : abgeschlossen
- Drittmittelgeber : SNF
- Kontaktperson : René Wiederkehr
Beschreibung
Das Bundesgericht hat mit Leitentscheid BGE 137 V 210 ff. das
Abklärungsverfahren im Hinblick auf das Einholen von
versicherungsexternen Gutachten erheblich umgestaltet, wobei
insbesondere die Mitwirkungsrechte der Versicherten gestärkt
wurden. Die von BGE 137 V 210 ff. initiierten Praxisänderungen sind
in der Lehre intensiv und teilweise kontrovers diskutiert worden.
Weitgehend Einigkeit besteht darüber, dass die strukturellen Mängel
bei den Gutachterstellen, insbesondere den MEDAS, möglichst schnell
behoben werden müssen, um deren Unabhängigkeit zu sichern.
Umstritten ist hingegen, ob der Ausbau der Mitwirkungsrechte nicht
zu einem unnötig formalisierten, komplizierten und langwierigen
Beweisverfahren führt. Die Angleichung an den VwVG-Standard, der
auf Einzel- und nicht auf Massenverfahren ausgerichtet ist,
verschiebt das Gewicht zwischen dem Gebot an ein einfaches und
rasches Verfahren sowie den zu gewährleistenden Mitwirkungsrechten
der Versicherten erheblich zugunsten Letzterer. Welches Verhältnis
im Rahmen des Abklärungsverfahrens anzustreben ist, stellt eine
schwierig zu beantwortende Frage dar, die hauptsächlich im
Spannungsfeld zwischen Effizienz (Gebot an ein einfaches und
rasches Verfahren) und Fairness (Gewährleistung von
Mitwirkungsrechten) zu verorten ist. Im Allgemeinen sind – im
Rahmen der Verfassungsordnung sowie der EMRK – verschiedene Modelle
denkbar, um ein vernünftiges Verhältnis zwischen den
Mitwirkungsrechten im Verwaltungsverfahren und dem Ziel eines
einfachen und raschen Verfahrens zu verwirklichen. Es fehlen
allerdings verlässliche Angaben über die Dauer der einzelnen Phasen
des Abklärungsverfahrens und deren Einflussfaktoren. Entsprechend
beruht die Beantwortung der Frage, ob der von BGE 137 V 210 ff.
begründete Verfahrensstandard das Abklärungsverfahren unnötig
verkompliziert, in die Länge zieht und zu einer eigentlichen
„Verfügungsflut“ führt, weitgehend auf „Alltagstheorien“ und nicht
auf empirisch gesichertem Wissen. Das vorliegende
Forschungsvorhaben will deshalb in einem ersten Teil mittels einer
empirischen Untersuchung verlässliche Angaben über die Dauer der
einzelnen Phasen des Abklärungsverfahrens im
Sozialversicherungsrecht und deren Einflussfaktoren wie
beispielsweise Alter, Geschlecht, Art der Krankheit,
Krankheitsverlauf, Herkunft oder Gewährleistung von
Mitwirkungsrechten gewinnen. Auf der Grundlage dieser empirischen
Analyse sind in einem zweiten Teil die bisher entwickelten
Verfahren kritisch zu hinterfragen und es sind mögliche
Regelungsmodelle de lege lata und de lege ferenda vorzuschlagen, um
die an sich gegenläufigen Anliegen der Effizienz und Fairness in
Übereinstimmung zu bringen.